In diesem Schuljahr fand zum ersten Mal an der Marienschule ein literarischer Schreibwettbewerb statt für alle SchülerInnen von Klasse 7 bis zur Oberstufe statt. Von November bis Mitte Januar konnten die SchülerInnen ihre literarischen Texte zum Thema „Auf der anderen Seite“ einreichen.
Allen Teilnehmende sei sowohl im Namen des Fachbereichs Deutsch als auch im Namen des Fördervereins, der die Siegerprämien gesponsort hat, herzlich gedankt.

Die GewinnerInnen sind:

Gruppe 1 (Klasse 7 bis 9):
Julius, Klasse 8a
Wiebke, Klasse 8b
Helena, Klasse 7b

Gruppe 2 (Klasse 10 bis 12):
Leif, Klasse 12

Allen einen herzlichen Glückwunsch! Damit sich die Schulgemeinschaft einen Eindruck von den Ergebnissen machen kann, stellen wir die Texte hier aus.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!

Anna Seliger-Ewertz
Jessica Schumann

 

"Auf der anderen Seite"  von Julius

Ich lebe in einer Kleinstadt. Die Stadt ist schön, sauber, einladend und liegt an einem See. Wenn man sich umschaut, sieht man nur gepflegte, oft weiß angestrichene Häuser. Diese Stadt ist seit 22 Jahren meine Heimat. Man könnte meinen, hier in der Stadt sei alles perfekt. So wirkt es auch. Aber wie ich später herausfand, nur auf den ersten Blick. Einwohner, die sich gut in der Kleinstadt auskennen, wissen, dass eine Straße im südlichen Teil der Stadt gar nicht zum Rest der Häuser und zum allgemeinen Bild passt. Die Straße, welche den Namen Grubener Straße trägt, ist nicht so schön sauber und einladend wie der Rest. Müll hängt an den Zäunen und bedeckt die Straße. Jene schöne Bank, die bei uns steht, gibt sich nur als ein moderiges Stück Holz zu erkennen. Dies ist keine Übertreibung, welche sich die Einwohner ausgedacht haben. Wenn man dort hingeht, wird man nur ein riesiges heruntergekommenes Anwesen sehen, welches sich neben der Straße erstreckt. Das Anwesen, bei dem man die Schönheit von früher nur noch träge erkennen kann, gehört einem alten Mann. Dieser Mann, welchen man sehr wenig zu Gesicht bekommen hat, ist schon seit 3 Jahren von der Bildfläche verschwunden und deswegen ging das Grundstück zurück an die Verwaltung der Stadt. Als die Stadtverwaltung ihn vor 4 Jahren auffinden konnte und fragte, ob er das Haus verkaufen wolle, beineinte er dies und ging mit hastigem Schritt, welcher durch sein hinkendes linkes Bein eingeschränkt war, weiter. Seit jeher hat man diesen Mann nicht wiedergesehen. Die Menschen in der Stadt haben Angst vor dem Mann und seinem ehemaligen Grundstück. Menschen meiden die Grubener Straße und prägen ihren Kindern ausdrücklich ein, dass sie dort in der Nähe niemals spielen sollen. Die Angst der Leute bezieht sich höchstwahrscheinlich auf eine Sage, welche sich ereignete, als die Kleinstadt noch ein Dorf war. Schon damals soll es dieses Grundstück mit dem dort befundenen Anwesen gegeben haben. Es ließ sich ein reicher Gutsherr bauen, welcher es als Rückzugsort nutzen wollte. Dies war noch die Zeit, als das Haus in ganzer Schönheit erstrahlte. Der Putz, die Fassade, das Dach selbst der Garten alles war da noch gut gepflegt. Eines Tages setzte sich der Gutsherr dort wortwörtlich zu Ruhe. Schließlich wurde er eines Tages auf grausame Art und Weise ermordet: Mit zwölf Dolchstichen, die seine lebenswichtigen Organe freigaben. Erst nach 5 Wochen wurde diese verfaulte und stinkende Leiche neben dem Dolch in seinem Haus aufgefunden. Die Älteste in der Stadt erinnert sich noch genau an die Erzählungen ihrer Mutter, welche die Leiche auffand. Die Mutter, die Katrin hieß, weckte damals mit einem lauten Schrei die Dorfgemeinschaft auf, welche von dieser Nachricht mehr als geschockt war. Eigentlich war es nicht üblich in ihrer Kindheit, in fremde Häuser hineinzugehen, aber Katrin spielte mit ihren Freunden im Haus oft verstecken, wenn der Gutsherr nicht da war. Allem Anschein nach dachten die damals 12-jährige Katrin und ihre gleichalten Freunde, dass der Gutsherr schon wieder weg sei. Seitdem dieses Schreckensereignis passiert war, wollte keiner mehr dort einziehen oder in die Nähe des Anwesens. Das Anwesen stand 35 Jahre lang leer und die Natur nahm Anspruch darauf, was ihr gehörte, und keiner wollte es stoppen.
Ich arbeitete in der Stadtverwaltung. Schnaufend ging ich jeden Morgen die Treppen hoch und dachte darüber nach, wieso es hier noch keinen Fahrstuhl gab. Ich war ein gewissenhafter Arbeiter und war dafür bekannt, bei jeder noch so schweren Aufgabe die Führungsrolle zu übernehmen und einen Lösungsweg zu finden. So setzte ich mich letztes Jahr dafür ein, dass ein leerstehendes Haus neu saniert und verkauft werden konnte. Vor einem Projekt aber schrak jeder zurück und das war der Abriss oder gar die Besichtigung des Anwesens des toten Gutsherrn. Alle hatten Angst, da die Geschichte von der Ermordung vor 122 Jahren seit Jahrzehnten weiterzählt wurde. Heute, als ich ins Büro kam, wurde ich ins Büro vom Chef gerufen, welcher mir erzählte, dass die Stadtverwaltung beschlossen hat das Haus abzureißen, um mehr Platz für Neubauten zu schaffen. Er sagt mir, dass er mich mit der Aufgabe der Abrissarbeiten betraut habe, weil ich die besten Führungsqualitäten hätte. Zum einem war ich geehrt, aber andererseits hatte ich auch Angst. Als ich noch ein Junge war, wurde mir wie von allen anderen Eltern auch die Geschichte vom Haus erzählt. Jetzt sollte ich erstmal mit 3 Mitarbeitern das Haus von Innen durchsuchen und schauen, ob da noch Wertsachen vorhanden waren. Wir haben uns drei Tage für die Arbeit vorgenommen, da das Haus so groß war.
Ich war um 6:00 Uhr morgens aufgestanden, da wir uns um 7:00 Uhr auf dem Marktplatz treffen wollten. Ich war sehr erfreut darüber, dass die beiden Mitarbeiter pünktlich waren. Wir brachen gleich auf und gingen am schönen Marktplatzt vorbei, wo die Steine vom Morgentau in ein glitzerndes Licht gehüllt wurden. Als wir dann noch am Bäcker vorbeiliefen, merkte ich, dass Peters Gesicht ganz bleich war. Ich fragte ihn, ob alles ok sei, doch er antwortete nur mit rauer Stimme. „Ja, es ist alles gut“. Als Peter vor der Straße, wo sich das Anwesen befand, abrupt und mit angsterfülltem Blick stehen blieb, war Fritz und mir sofort klar, dass Peter mental der Aufgabe nicht gewachsen war, und wir schickten ihn, obwohl er sagte, es gehe ihm gut, nach Hause. Es klingt hart, aber wir brauchten keine Leute, die der Aufgabe nicht gewachsen waren.
Fritz und ich gingen in die Grubener Straße und schauten nach, ob wir alles Wichtige dabeihatten. Für diesen Tag hatte jeder von uns eine Taschenlampe, etwas zu Essen und eine Kamera zum Fotografieren von Fundstücken mitgenommen. Als wir uns langsam zum Eingangstor hinbewegten sahen wir, was sich die Natur zurückgeholt hatte. Quietschend ging das Tor auf und ich hatte Angst, dass ich gleich darunter begraben werde. Wir gingen langsam einen zugewachsenen Pfad entlang und ein Stolpern über eine Wurzel blieb uns beiden nicht erspart.
Als wir etwas weitergingen, konnten wir das ganze Gebäude sehen und der Anblick verschlug uns den Atem. Riesige verschnörkelte Türme ragten wie Wolkenkratzer an jeder Ecke des Gebäudes empor. Die Türme waren voller Efeu, welches sich an den Türmen rankte. Das wirkte bedrohlich. Vor dem Gebäude standen zwei überwucherte Säulen, worauf zwei riesige Engelsstatuen standen, welche ein Zepter in Richtung des Himmels hielten. Das Haus war beschmückt mit dämonisch aussehenden Wasserspeiern, welche teilweise zerbrochen auf dem Boden lagen. Von außen betrachtet gab es keine Stelle, wo das Haus nicht Schäden hatte. Jetzt verstand ich auch, wieso die Leute so viel Angst hatten. Mit mutigen langen Schritten gingen wir zur Eingangstür, welche aus Eichenholz war. Sie ließ sich mit einem Griff öffnen, welcher silbern glänzte. Als wir die Tür öffneten, schlug uns ein muffiger Geruch ins Gesicht und es roch so, als hätte man überall vergammeltes Wasser verteilt. Ein langer Gang lag vor uns und führte, wie es den Anschein hatte, zu einer großen Wendeltreppe. Als wir den Weg zu folgen versuchten, konnten wir mithilfe unserer Taschenlampen den teilweise fehlenden Holzbrettern aus dem Weg gehen. Das Holz fühlte sich so morsch an, dass man dachte, es breche gleich zusammen. Bei jedem Schritt ächzte der Boden verurteilend. Links und rechts von dem Gang waren Türen und da wir den Auftrag hatten, alles zu durchsuchen,machten wir uns an die Arbeit. In den rechten Raum ging Fritz und ich ging in den linken Raum. Im Raum gab es ein Sofa, aus dem die Federn schon rausschauten. Gegenüber von der Couch hing über einem Kamin, in dem kaputte Steine lagen, ein düsteres Bild. Auf dem Bild war ein junges Mädchen zu sehen, welches neben Linden und einer Mauer stand. Das irritierte mich. Auf einmal hörte ich eine tiefe Stimme, welche „Hallo, Gast“ rief. Ich erschrak furchtbar, da zu dieser Stimme das ganze Haus zu beben schien. Ich stieß die Tür auf und hastete in die Richtung des anderen Zimmers in der Hoffnung, Fritz zu finden. Ich fand ihn, aber die Begegnung hatte ich mir angenehmer vorgestellt. Wir prallten beide mit einer Wucht aneinander und gingen zu Boden. Meine Stirn fing sofort an zu bluten. Mein Blick war verschwommen und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich bekam wage mit, wie Fritz aus seinem Rucksack ein Verbandskasten holte und mir ein großes Pflaster aufklebte. Langsam beruhigten wir uns und redeten darüber, dass die Mission für heute vorbei sei. Wir wollten zurück zum Ausgang gehen, doch dieser war verschlossen. Die Fenster waren mit Brettern verbarrikadiert. Wir hatten Angst. Wir schlichen uns langsam und leise den Flur zur Treppe entlang und hörten beunruhigende Geräusche. Ein Knacken erfüllte meine Ohren und danach folgte der schlimmste Tinnitus, den ich jemals hatte. Mein Nerven spielten verrückt. Ich sah Schatten, welche nicht existierten, und auf einmal sprang irgendetwas Beharrtes auf Fritz und mich zu. Ich sah schwarz und über meine Augen legte sich die Dunkelheit.
Ich wachte auf, meine Stirn brannte. Wage konnte ich erkennen, dass Fritz verletzt neben mir lag. Ich verarztete ihn provisorisch mit einer Salbe aus dem Verbandskasten, welche wir zum Glück mitgenommen hatten. Dann kroch ich langsam umher und spürte etwas kahles Rundes an meiner Hand. Es war ein Totenschädel. Ich war geschockt, da ich so etwas noch nie gesehen hatte. „War das der tote Gutsherr?“, fragte ich mich.  Zitternd glitt meine Hand zur Taschenlampe, welche, wie ich daraufhin herausfand, nicht ging. Langsam erhob ich mich und half auch Fritz auf die Beine. Wo waren wir? Was ist passiert? Fragen häuften sich in meinem Kopf und ich hatte Angst, denn verstand zu verlieren. Langsam, aber mit einer gewissen Sicherheit gingen wir in die Dunkelheit hinein. Lediglich der Zeiger meiner Uhr war leicht beleuchtet. Es war 13:00 Uhr. „Wir müssen hier lange gelegen haben“,sagte ich mit zitteriger Stimme zu Fritz. Er antwortete nur schwach, dass er sich schlecht fühle. Wir gingen durch einen Korridor und erkannten den Flur von vorhin wieder. Doch etwas war anders. Aber was war es? Wir konnten die Eichentür vom Eingang sehen, welche wir zu Beginn geschlossen hatten. Sie war offen. Übelkeit stieg in mir auf und ich übergab mich auf den vermoderten Boden. Dann hörten wir Schritte, laute stampfende Schritte. Wir rannten immer und immer schneller. Wir waren aus dem Haus und jetzt war uns bewusst, dass dies nicht vom Erfolg gekrönt war. Die Welt war grau. Wo vorher grüner Efeu war, lag toter Efeu. Wo vorher eine grüne Eiche stand, so war jetzt dort ein toter Baumstumpf voller Käfer. Wir standen unter Schock und rannten bis zum Straßenanfang, wo wir Peter nach Hause geschickt hatten. Da, wo vorher eine lange Straße mit weißen Häuserfassaden war, standen jetzt zerstörte Häuser, die eine graue triste Leere hatten. Wir rannten und blieben keuchend stehen. Was hatten wir noch? Leben unsere Familien noch?  Warum war der Himmel um 13:00 Uhr grau geworden? WAS IST PASSIERT? All diese Fragen häuften sich in unseren Köpfen und belasteten uns. Auf der Straße, auf der sonst Autos fuhren, liefen Karawanen von Käfern entlang. Diese Käfer kannte selbst Fritz nicht, obwohl er früher Biologie studiert hatte.  Ängstlich schlichen wir verletzt die Straßen entlang und wurden nach und nach vom Nebel verschluckt mit der schaurigen Gewissheit, dass wir uns auf der anderen Seite der Realität befanden.


"Zweite Chance"  von Helena E. B.
                                                                 
Prolog
 
Ich merkte, wie das Flugzeug scharf nach unten flog und der Wind in meinen Ohren wie wild rauschte. Auch wenn ich im Flugzeug saß und mich in meinem Sitz klammerte, hörte man den Wind rauschen wie in einem Wirbelsturm. Der Wind wurde aber von hysterischen Schreien übertönt. Allerdings hörte man auch noch etwas Anderes: Und zwar mörderische Schreie aus dem Cockpit. Anscheinend hatten die Wenigen, die sich nach vorn gewagt hatten, einen blutigen Kampf vor sich, denn, das war auch mir aufgefallen, die Piloten hatten einfach den Flugkurs geändert. Das war natürlich allen verdächtig vorgekommen. Allerdings wusste niemand, außer den Beteiligten natürlich, was sich dort vorne im Cockpit abspielte. Ich zuckte zusammen, als man einen lauten Schuss hörte. Alle waren in großer Panik. Langsam, ganz langsam stand ich auf und ging genauso dezent langsam zum Cockpit. Meine Neugier hatte mich voll und ganz übernommen. Schon auf den letzten Metern hörte ich ein lautes Knacken, das sich anhörte, als würden mehrere Knochen gleichzeitig brechen. Als ich am besagten Ort ankam, war ich nicht überrascht, dass mehrere blutende, leblose Körper am Boden des Flugzeuges lagen. Sie hatten sich alle gegenseitig umgebracht, dachte ich. Trotzdem ließ mich dieser Anblick erschaudern. Ich wagte mich weiter vor zum Sitz des Piloten. Auf den ersten Blick sah es aus, als würde er schlafen. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass er nicht schlief, sondern tot war. Warte, das hieß, dass niemand das Flugzeug steuerte! Ich geriet in Panik. Es schockte mich so sehr, dass ich mich am Sitz des Piloten festhalten musste. Erst zu spät bemerkte ich, als ich aus der Windschutzscheibe des Flugzeugs guckte, dass wir direkt in das Meer nahe New York City einkrachen würden. Wir waren nur noch wenige Meter vom Wasser entfernt. Das würden wohl die letzten Augenblicke meines Lebens sein. Starr vor Schreck blieb ich stehen. Das Letzte, was ich hörte, war ein lauter Knall, ich merkte noch, wie das Flugzeug auf dem Meer zerschellte. Dann wurde mir abrupt schwarz vor Augen.

Kapitel 1

Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, dachte ich dank der grellen weißen Lampe über mir zuerst, dass ich im Himmel wäre, weswegen ich auch laut rief: „ Ich war doch noch viel zu jung!“. Es kam aber mehr ein Krächzen als ein Ruf aus meinem Mund. In diesem Moment kam eine Frau mit einem hohen Dutt und einer strengen Brille, in den Raum und beugte sich über mich. Sie fragte mit einer rauen Stimme: „Was sagst du da?“. Von jetzt auf gleich bemerkte ich, dass ich in einem Krankenhaus lag. Peinlich berührt, versuchte ich mich aufzusetzen, was mir nicht gelingen wollte, da mir alles wehtat. „Du solltest dich erst mal schonen. Immerhin hast du drei Jahre im Koma gelegen und hattest schlimme Verletzungen. Erhole dich erst mal.“, sagte die Frau mit ihrer rauen Stimme. „ D-D-Drei Jahre liege ich schon hier?“, fragte ich mit zitternder Stimme. Das war doch kaum zu fassen! Warum verging die Zeit nur so schnell? Ich wollte doch etwas aus meinem Leben machen, doch stattdessen lag ich drei verdammte Jahre in einem stinkenden Krankenhaus in New York City! Da kam mir ein Gedanke: „Heißt das, ich bin jetzt 17?“, fragte ich. „Siebzehn was? Äpfel? Birnen?“, wollte die Dame wissen. „Nein, entschuldigen Sie bitte. Ich meinte, ob ich jetzt 17 Jahre alt bin?“, sagte ich ruhig. Diese Frau erinnerte mich, an meinen strengen, von allen verhassten Mathelehrer. Um ehrlich zu sein, hatte ich immer Angst vor ihm gehabt ( Ich war gerade mal zehn gewesen). Ich kannte sie natürlich nicht und natürlich war sie auch nicht so schlimm wie er. Trotzdem war mir bei diesem Gespräch unwohl. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass die Küstenpolizei dich rechtzeitig fand, sonst wärst du genauso tot wie die Anderen, die in dem Flugzeug saßen.“. Plötzlich schoss mir alles wieder in den Kopf: Ich hatte eine schöne Reise mit meinem alleinerziehenden Vater nach New York City machen wollen. Doch der Pilot hatte den Flugkurs plötzlich geändert. Ich hatte mich allein zum Cockpit geschlichen, da ich neugierig auf das war, das sich vorne abspielte. Als ich mich daran erinnerte, fragte ich mich, wie dumm ich doch war, so etwas Gefährliches zu machen. Warum war ich nur allein dort hingegangen? Mit einem Schlag wurde mir klar: Es hatte niemand überlebt außer mir. Nur ich hatte überlebt. Ich konnte nicht mal weinen, so sehr schockierte mich die Tatsache, dass „ M-Mein Vater tot ist?“, hauchte ich mit letzter Kraft. „Ich denke schon. Tut mir wirklich leid für dich.“, meinte eine andere Stimme. Als ich meinen Kopf mit etwas Anstrengung zur Seite neigte, erkannte ich, dass es eine junge Krankenschwester war. In ihrer Stimme schwang so viel Mitleid mit, dass ich doch fast angefangen hätte zu weinen. Ich schaffte es, die gewaltige Trauer herunterzuschlucken und einen fragenden Blich aufsetzte, der wahrscheinlich sehr gequält aussah. „Sarah, geh jetzt, er sollte sich jetzt ausruhen.“ sagte die strenge Frau, die immer noch an meinem Bett stand. Von wegen ich sollte mich ausruhen! Ich hatte so viele Fragen. Wenn es hochkam, war ich gerade fünf oder zehn Minuten wieder ins Leben getreten und jetzt sollte ich einfach den Mund halten und keine Fragen stellen. Toll! Stattdessen sollte ich wieder schlafen, ich hatte doch genug geschlafen. Ich meine drei Jahre sind ja wohl mehr als genug! Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte der Frau eine runtergehauen, aber das ließ ich lieber, sonst würde man mich endgültig in eine Psychiatrie bringen. Nun, da gab es eh das Problem, dass ich mich nicht bewegen konnte und so auch nicht aufstehen konnte. Vielleicht war es gut, alleingelassen zu werden. Mich überkam auf einmal eine große Müdigkeit. Einfach so, ohne Vorwarnung. Ich war gerade nach drei Jahren aufgewacht und jetzt wollte ich gleich weitermachen und aus drei Jahren, vier Jahre machen? Langsam schloss ich die Augen. Ich hörte noch Schritte, die immer leiser wurden, und ein Knarren der Tür, die sich schloss. Dann war der Raum leer.
                                                            

Kapitel 2

Ich stand auf einer Wiese. Das grüne Gras schien zu ertrinken, so überfüllt war dieser Ort von bunten Blumen. Die Sonne verschwand hinter hohen Bergen und die Wiese, auf der ich stand, wurde in goldenes Licht getaucht. Plötzlich spürte ich, wie mir eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Erschrocken fuhr ich herum… Und sah einen Mann, meinen Vater. Allerdings hatte mein Vater überall Wunden und er sah aus wie eine Art Zombie. Sein ganzer Körper war bedeckt von Narben, blutrünstigen Kratzern und das Schlimmste war, dass ihm sein linkes Auge und sein rechter Arm fehlten. Als ich ihn so sah, lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken herunter und die davor noch so schöne Wiese verwandelte sich in ein Flugzeugwrack. Vor dem gestrandeten Flugzeug lagen Leichen auf dem Boden. Gleichzeitig färbte sich der goldene Himmel in eine schwarze, düstere Landschaft. Doch das war noch nicht das Schlimmste: Die Leichen fingen an aufzustehen und auf mich zuzugehen. Es war wie in einem Horrorfilm, das Opfer fing dann meistens an zu rennen, obwohl jeder doch genau wusste, dass sie nicht fliehen konnten. In so einem Klischee fand ich mich wieder. Aus Instinkt fing ich an zu rennen. Ich rannte, rannte, bis ich nicht mehr atmen konnte, aber hinter mir hörte ich immer noch Schritte. Es half nichts, entweder ich würde daran sterben, dass ich nicht mehr atmen konnte, oder die Zombies würden kommen und mein Gehirn fressen. Das nenne ich mal gute Möglichkeiten. Warum waren die Zombies eigentlich so schnell? Machte Gehirnverlust schneller? Während ich darüber nachdachte, holten mich die Zombies ein und einer Hand griff in meinen Nacken. Na toll, es war vorbei mit meinem Gehirn. Ich schlug wild in der Luft um mich und schrie so laut ich konnte. Bestimmt hätten meine wenigen Freunde mich jetzt als Mädchen bezeichnet. Wirklich vielen Dank für so tolle Freunde. Nein, jetzt mal Spaß bei Seite. Was würden die mit mir machen? Der Zombie schleppte mich zurück zu dem Flugzeugwrack. Ich schrie nur noch lauter. Anscheinend war ich nicht der einzige Snack, denn mein Kumpel Carl schrie auch wie verrückt in den Armen eines weiteren Zombies. Von wegen, ich war doch kein Mädchen im Vergleich zu ihm. Der Zombie schleppte mich weiter zu einem Stuhl, an dem Eisengurte befestigt waren. Er setzte mich hinein und eh ich es mir versah, stand eine Menge Zombies um mein gefesseltes Ich. In einer Achterbahn wäre so ein Gurt Luxus gewesen. Gerade als die Zombies anfangen wollten, meine Organe brutal aus mir herauszureißen, spürte ich etwas Nasses. Ich öffnete meine Augen erschrocken. Nein, ich hatte nicht ins Bett gemacht, ich hatte nur ein Glas Wasser mit meiner Hand umgestoßen, genau auf meine Pflegekommode. In der nächsten Sekunde rumpelte es vor der Tür und jemand platzte ins Zimmer. Die Krankenschwester von vorhin, ich glaube ihr Name war Sarah. „Hallo Henry, du bekommst Besuch.“ , flötete sie und ein dunkelhäutiger Junge, der ungefähr in meinem Alter war, wurde auf einer Liege hereingerollt. Sarah fuhr fröhlich fort: „Das ist ab heute dein Zimmergenosse, Henry. Sein Name ist Jack. „Oh man, sie erzählte mir das, als wäre ich ein dreijähriger Junge, der zu schüchtern war, sich selbst vorzustellen. Wenigstens war er in meinem Alter und nicht ein alter Herr oder eine alte Dame, die sich über Sachen aufregten. Jack lächelte mich freundlich an. Seine dunklen Haare waren zu Dreadlocks geflochten worden und sein Brustkorb wurde von einem Verband umschlungen. Auch wenn er aussah, als hätte ihn spontan ein Auto überfahren, leuchteten seine dunklen Augen. Das machte ihn sofort sympathisch. Eigentlich war ich ein Einzelgänger, hatte hier und da mal Freundschaften, aber mehr auch nicht. Ich hielt nicht sehr viel von Freunden, nicht das ich mir gerade Hoffnungen machte, mich mit Jack anzufreunden, aber etwas in mir fühlte sich so an, als würde ich ihn schon ewig kennen. Ich schob die ganzen Gedanken beiseite. Wenigstens hatte ich jetzt Gesellschaft. Als die Krankenschwester Sarah aus dem Zimmer ging, wendete sich Jack an mich. „Du bist Henry, richtig? Wieso bist du hier?“ Ich sagte zögernd:    
„Ähm… ich… äh… Ich lag im Koma.“ Er guckte mich erstaunt an. „Wie lange?“, fragte er erstaunt. Ich wollte ihm nicht meine Lebensgeschichte erzählen. Überhaupt fragte ich mich, wieso Jack so offen war. Ich hätte niemals so offen sein können. Andererseits fand ich es schön, mit jemandem reden zu können. „Ich lag drei Jahre im Koma, mein Flug ging nach New York. Das Flugzeug ist nahe der Ostküste abgestürzt und ich bin der einzige Überlebende.“.
Er guckte mich schockiert an. „Deswegen kommt mir dein Gesicht so bekannt vor! Bro, du warst in den Nachrichten!“ Ich war verblüfft: „Okay…“, ich wusste ehrlich nicht, was ich antworten sollte.
„Wieso bist du hier?“, fragte ich stattdessen. Er überlegte kurz. „Also“, fing er an. „Meine Familie hat sich Feinde gemacht, ich wurde von meinen Verfolgern von einem Dach geschubst.“ Er grinste: „Okay, ich habe leider nicht eine so krasse Geschichte wie du. Die Wahrheit ist, dass ich die Dachrinne säubern sollte und ich, tollpatschig wie ich bin, runtergefallen bin.“ Er lächelte peinlich berührt. Mir entfuhr ein kleines Kichern. In diesem Jungen steckten anscheinend viele Überraschungen.