Diskussion mit dem Kasseler Soziologen Prof. Dr. Heinz Bude
Lange galt der Satz, den Kindern solle es einmal besser gehen. Gilt der Satz noch? Wird es unseren Kindern wirklich besser gehen? Viele Eltern sind verunsichert. Was geschieht, wenn die Gymnasialempfehlung verpasst oder das Abitur nicht geschafft wird? Und wenn man es geschafft hat: Reicht die Qualität des deutschenAbiturs aus? Werden die Kinder gegen die internationale Konkurrenz bestehen können? Eine diffuse Angst geht um in vielen Elternhäusern, so sehr, dass sie dem Spiegel jüngst eine Titelgeschichte wert war. Selbstverständlich werden die Sorgen und Ambitionen direkt in den Schulen abgeladen, durch Einmischung und indem man den Schulen erklärt, was sie besser machen müssen. "Eltern nutzen heute ihre Möglichkeiten wie nie zuvor." Der oben zitierte Satz gilt heute also oft nicht mehr, er lautet nun anders: "Es geht nicht mehr darum, den Kindern den Aufstieg zu ermöglichen, sondern darum, sie vor dem Absturz zu bewahren. ... Heute geht es vielen Eltern so gut, dass ihre Maxime nur noch lauten kann: Meinem Kind soll es nie schlechter gehen." (Der Spiegel 41/2015, S. 43)
Auf dem Spiel stehen die Bewahrung, aber freilich auch der Verlust oder Gewinn von Status. Wie geht die Gesellschaft, gehen Eltern, Schüler und Lehrer mit diesem Druck um? Was bedeutet dies für die Schulen? Welche Schule wollen wir?
Die Erwartungen an die Bildungspolitik sind groß, doch sie reagiert auf die Situation meist mit strukturellen Konzepten, die in der Regel nicht hilfreich sind oder sie senkt einfach die Standards, was auch keine gute Idee ist. Wer hat Lösungsansätze? Wer formuliert Ideen, wie man mit diesen Fragen und Herausforderungen umgeht und wie man den Eltern vielleicht die Sorgen nehmen kann?
Wir haben Heinz Bude eingeladen. Er ist Professor für Soziologie in Kassel und Leiter des Arbeitsbereichs "Politik und Gesellschaft der alten und neuen Bundesrepublik" am Hamburger Institut für Sozialforschung. Heinz Bude porträtiert seit Jahren in seinen Büchern die Zustände der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Er beschreibt, warum in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik Deutschland so viele Bürger eine diffuse Angst empfinden (Die Gesellschaft der Angst, Hamburg 2014). Vor allem aber: Er analysiert das Bildungssystem (Bildungspanik, München 2011), macht sich Gedanken, warum es zu dem Phänomen gekommen ist, das er „Bildungspanik“ nennt und entwickelt Ideen, was man dagegen tun könnte. Selbstverständlich kommt auch in dem Spiegel-Artikel zu Wort.
Heinz Bude hat am 16. September 2015 die Marienschule besucht und sich den Fragen von zwei Abiturienten, Max Baus und Adrian von der Hagen, gestellt. Es war spannend zu hören, wie Heinz Bude aus soziologischer Perspektive die Ängste von Eltern und Familien analysiert, und es wirkt entkrampfend, wenn er den Eltern zu mehr Gelassenheit rät. Neben allen konkreten Fähigkeiten, neben allem Fachwissen, das man sich in der Schule aneigne, seien zwei Dinge von besonderer Bedeutung für den beruflichen wie persönlichen Erfolg: Kompetion und Kooperation, wie er es nennt. Wichtig sei es auf der Schule herauszufinden, was einen interessiere, was einen neugierig mache, was für einen gut sei und worin man gut sei und damit dann selbstbewusst, aber kooperativ in die Welt hinaus zu gehen und sich den Herausforderungen zu stellen.